Jede Waliserin und jeder Waliser über einem gewissen Alter kennt dieses Gefühl. Man reist ins Ausland, und jemand fragt: „Woher kommst du?“ Noch vor nicht allzu langer Zeit musste die Antwort „Wales“ mit einer langen Erklärung untermauert werden.
Bis zur Weltmeisterschaft 2022 in Katar hatte sich das alles geändert. Man sagte „Wales“ (oder noch besser „Cymru“) und die Leute begannen zu lächeln. „Ah, der beste Gesang der WM, die lauteste Hymne, die leidenschaftlichsten Fans! Wir lieben die Farben und die Fischerhüte!“
Das mag vielleicht unbedeutend klingen. Aber täuscht euch nicht – das ist von grosser Bedeutung. In Katar wehte unsere Flagge stolz an jedem Gebäude und auf jeder Strasse, neben der von Brasilien, Argentinien und Deutschland. Alle wussten ganz genau, wofür Wales steht.
Das ist die Kraft des Sports – besonders des Fussballs. Wir sind auch im Rugby und in vielen anderen Sportarten nicht schlecht, aber Fussball ist ein wirklich globales Phänomen. Die Dimension der Weltmeisterschaft ist schlicht riesig. Das nächstgelegene Pendant wären vielleicht die Olympischen Spiele – aber dort tritt Wales nicht als unabhängige Nation an.


Bei den Olympischen Spielen treten wir als Teil von Team GB an – wir vertreten das Vereinigte Königreich in seiner Gesamtheit. Das Gleiche gilt für die meisten politischen und wirtschaftlichen Bereiche. Wir haben keinen eigenen Sitz bei den Vereinten Nationen oder in der Welthandelsorganisation, dort werden wir indirekt als Teil des Vereinigten Königreichs vertreten.
Aber im Fussball ist das ganz anders. Der walisische Fussballverband (Football Association of Wales, FAW), gegründet im Jahr 1876, ist der drittälteste nationale Verband der Welt. Wales ist Vollmitglied bei der UEFA und FIFA, wodurch wir uns mit den grossen Fussballnationen messen können.
Und das tun wir zu unseren eigenen Bedingungen. Der FAW verwendet inzwischen den walisischen Namen Cymru für seine Mannschaft anstelle von Wales – ein kleines, aber wichtiges Detail. Der Cymru-Fussball steht für eine moderne, inklusive Identität. Die Nation hat die enge, spürbare Verbindung zwischen den Fans und den Frauen- und Männerteams mit Begeisterung angenommen.
Dieser Wandel im Selbstverständnis ging einher mit besseren sportlichen Leistungen. 2011 lag Wales im FIFA-Ranking noch auf Platz 117. Bis 2015 hatten wir uns auf Platz 8 vorgekämpft. 2016 qualifizierten wir uns zum ersten Mal für die Europameisterschaft, wurden schnell zum Lieblingsturnierteilnehmer (quasi jedermanns zweitliebstes Team), bevor wir schliesslich im Halbfinale gegen Portugal ausschieden – die späteren Europameister.
Und dann kam 2022: Zum ersten Mal seit 1958 qualifizierten wir uns wieder für eine Fussball-Weltmeisterschaft – als kleinste Nation im Teilnehmerfeld. Cymru bestritt sein erstes Gruppenspiel gegen die USA, ein Land mit 331 Millionen Einwohnern, danach gegen den Iran (86 Millionen) und England (56 Millionen). Unsere Flagge, unsere Hymne, unsere uralte Sprache, unser kleines Land mit gut drei Millionen Menschen stand im Rampenlicht der Welt.
Es lief nicht alles reibungslos. Einige Cymru-Fans (mich eingeschlossen) wurden aufgefordert, unsere Regenbogen-Fischerhüte beim Einlass zum Spiel USA gegen Wales abzunehmen. Positiv ist aber, dass die weltweite Aufmerksamkeit, die folgte, deutlich gemacht hat, wo wir in Cymru bei diesem Thema stehen. Wir sind eine stolze, vielfältige Nation mit einem klaren Bekenntnis zu Inklusion und den Rechten aller Bürgerinnen und Bürger. Und jetzt weiss das die ganze Welt.


Und es gibt noch so viel mehr, das wir der Welt erzählen können, solange wir ihre Aufmerksamkeit haben. Der Sport zeigt die Werte unserer Nation und unser globales Verantwortungsbewusstsein. Er schafft Möglichkeiten, mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten. Er baut informelle Netzwerke auf, die formelle und offizielle Beziehungen entstehen lassen und stärken.
Sport ist ein Weg, um unsere lange Geschichte und unsere nationale Identität zu vermitteln. Unsere Zweisprachigkeit und unsere stolze, uralte Sprache. Unsere beeindruckende Naturlandschaft mit ihrem grossen touristischen Potenzial, unsere grünen und gesundheitsfördernden Qualitäten, und unsere Musik, Dichtung und Kultur im weiteren Sinne.
Wir zeigen der Welt ein modernes, positives Bild von Wales. Wir heissen die Welt in Wales willkommen – zum Handel, zum Reisen, zum Investieren und zum Studieren.
Von unseren Stars der Weltmeisterschaft bis hin zu unseren Goldmedaillengewinnerinnen und -gewinnern bei den Commonwealth Games, den Paralympischen und Olympischen Spielen – unsere Sportlerinnen und Sportler sind unsere besten Botschafter. Sie stehen für alles, was Wales ausmacht. Sie vermitteln Werte wie Exzellenz, Familie, Bescheidenheit und Freundlichkeit – mit einer Prise Spass und Stil, natürlich.
Sportliche Diplomatinnen und Diplomaten
Auch wenn er sich inzwischen vom internationalen Fussball zurückgezogen hat, ist Gareth Bale nach wie vor der bekannteste Waliser der Welt. Er führte die erfolgreichste walisische Mannschaft der Geschichte an – und trotzdem wirkten sie immer noch wie eine Gruppe von Freunden, die einfach Spass im Park haben.
Fussballerin Jess Fishlock hat eine beeindruckende Karriere in Europa, den USA und Australien hinter sich. Sie inspiriert weiterhin junge Menschen auf der ganzen Welt und setzt sich mit ihrer Stimme kraftvoll für die LGBTQ+-Community und die Führungsrolle von Frauen im Sport ein.
Tour-de-France-Sieger Geraint Thomas gehört zu den sympathischsten Radprofis im Peloton der Weltelite und moderiert inzwischen einen beliebten Podcast zusammen mit seinem Ineos-Grenadiers-Teamkollegen und Landsmann aus Cardiff, Luke Rowe.
Der frühere Kapitän der walisischen Rugby-Nationalmannschaft, Sam Warburton, führte auch die British & Irish Lions auf zwei Touren nach Neuseeland und Australien an. Heute ist er ein erfolgreicher Fernsehkommentator und Rugby-Kolumnist.
Hannah Mills, die erfolgreichste olympische Seglerin aller Zeiten, nutzt ihren sportlichen Erfolg als Plattform, um sich für wichtige Themen wie den Klimawandel und die Verschmutzung durch Plastik einzusetzen.

